
Wären Sie nicht Sie, sondern Chat GPT oder eine andere Künstliche Intelligenz, Sie wären das aufmerksamste Publikum, das man sich wünschen kann. (Sie sind es hoffentlich auch so.) Stets bereit, sich geduldig die blödesten Fragen anzuhören und jede dieser Fragen zu beantworten, weiss sie auch, wonach sie fragen muss, zum Beispiel: Wie der Redner – heute also ich – den Grundton seiner Rede gehalten haben möchte. «Soll die Rede eher festlich, humorvoll, nachdenklich oder offiziell klingen», wie es heisst (alle vier Eigenschaftswörter fett gedruckt)?
Nachdem ich der KI sowohl darauf geantwortet hätte als auch darauf, wer die Rede halten werde, ob jemand aus der Leitung, ein Ehrengast oder der Gemeindepräsident und an welches Publikum sie sich richte (an Mitglieder, Gäste, Förderer oder die breite Öffentlichkeit), würde sie mir jene schöne Rede zur diesjährigen fünften Ausgabe von Landlesen schreiben, die ich Ihnen hier nun vorenthalten werde, weil ich mir sagte: Bevor ich all das eingebe, was unser Landlesen ausmacht, schreibe ich doch gleich selbst die Rede.
Das Thema, über das Sie, die am Landlesen-Wettbewerb teilgenommen haben, sich den Kopf zerbrochen haben, sofern Sie nicht sofort eine zündende Idee hatten, war: Der Weg.
Es liegt auf der Hand, dass auch ich mir hier nun darüber Gedanken mache, wie man den vorgegebenen Gegenstand in Einklang mit der traditionellen Festrede bringen könnte, ohne als erstes gleich den tausend Mal gehörten Spruch vom Weg, der das Ziel sei, zu bemühen. Konfuzius, von dem er stammt, mag ja den perfekten, minimal kryptischen Kalenderspruch hervorgebracht haben, doch wer einen Weg beschreiben will, muss ein Ziel vor Augen haben: den fertigen Text nämlich. Sonst wird es nichts mit einer Eingabe beim Landlesen. Und tatsächlich gab es keine einzige Einsendung mit dem Vermerk: Ich bin noch auf dem Weg … das Resultat folgt zu gegebener Zeit, spätestens am 31. August 2025 unterwegs nach Biel-Benken.
Bleiben wir also bei den Resultaten: Der Weg vom Gedanken zu diesen, den fertigen Texten, war für die meisten von Ihnen womöglich etwas steinig. Mitmachen wollen ist das eine, eine Idee haben liegt nicht immer auf der Hand. Und wer schliesslich eine Idee hat, hat nicht notwendigerweise auf Anhieb das Zeug dazu, sie auszuführen. Vorgegeben ist ja lediglich die Länge des Textes. Originell muss man selbst sein. Eine Pointe, ausgewählte, aber nicht allzu ausgefallene Adjektive müssen gefunden werden, vor allem aber eine überzeugende Erzählperspektive und ein dramaturgisch haltbarer Aufbau. Das alles gehört zur Kunst des Erzählens. Die einen beherrschen das eine besser, die anderen das andere. Die Lyriker unter Ihnen haben es da nur insofern leichter, als sie mit Worten sparsamer umgehen müssen. Alles Überflüssige ist da zu viel, doch Überfluss darf sein – selbst in der Sparsamkeit.
Überflüssig und lästig sind auch lange Reden. Was aber noch gesagt sein muss und was mich und meine Mitstreiter nach 5 Ausgaben Landlesen in 8 Jahren besonders stolz macht, ist die schiere Zahl 323. 323 eigens dafür geschriebene Texte wurden uns in all den Jahren zur Begutachtung anvertraut. Wenn ich recherchiert hätte, wie viele Einwohner das Einzugsgebiet der Teilnahmeberechtigen aus dem unteren Baselbiet, dem Schwarzbubenland und dem Laufental hat, könnte ich errechnen, jeder wievielte Baselbieter, Schwarzbube und Laufentaler seine Texte – Prosa oder Lyrik – beim Landlesen eingereicht hat. Da ich aber eine mathematische Null bin, habe ich Ihnen meine mit Sicherheit falschen Berechnungen und mir die Blamage erspart. Vielleicht ist ja eine oder einer unter Ihnen, der diese Aufgabe übernehmen will.
Der Schuster bleibe bei seinem Leisten, heisst es. Manchmal tut es aber auch gut, über seinen Schatten und somit ins kalte Wasser zu springen. Da ist es dem Leisten dann egal, ob ihn ein veritabler Schuster mit seinem Leder umschmeichelt oder einer, der sich bloss zum Zeitvertreib an einem Schuh versucht.
Landlesen hat dem einen und der anderen Lust gemacht, einen ungewohnten Weg einzuschlagen: den Weg der Fantasie einerseits und den etwas mühsameren Weg der Verschriftlichung andererseits.
Dafür möchte ich mich im Namen aller bei Ihnen bedanken.